
Dienstag, 24. April 2018
Schüler diskutieren Europa, Löbau

Freitag, 20. April 2018
Europaforum diskutiert Digitalisierung, Leipzig

Montag, 16. April 2018
Wie ein Sachse ganz Europa hinter sich schart
Original erschienen in Sächsischer Zeitung, Dienstag, 10.04.2018
Original Artikel
Original Artikel
Wie ein Sachse ganz Europa hinter sich schart
Im Ausschuss der Regionen geht es in Brüssel um die Zukunft der Wirtschaft zwischen Polarkreis und Mittelmeer – im Osterzgebirge und der Sächsischen Schweiz.
Von Tilo Berger, Brüssel
Brüssel. Es geht um die Zukunft der Wirtschaft in der Europäischen Union, und ein Sachse ist mittendrin statt nur dabei. Heinz Lehmann aus Neusalza-Spremberg wird vor dem Ausschuss der europäischen Regionen vortragen, in welche Richtungen sich die Wirtschaft entwickeln kann und soll. Das Ganze findet statt im Plenarsaal des Europäischen Parlaments. Sowohl das EU-Parlament als auch die EU-Kommission warten auf die Vorstellungen zur Zukunft der Wirtschaft aus den Regionen. Davon hängt unter anderem ab, wie die EU in den nächsten Jahrzehnten Fördergeld verteilt.
Brüssel? Geht es dort nicht um die Mindestlänge von Bananen und die Krümmung von Gurken? Ging es in der Vergangenheit auch, und kaum jemand widerspricht, wenn in dem Zusammenhang das Wort Kokolores fällt. Aber diesmal soll es um richtige Wirtschaft gehen. Europa ist in der Zwickmühle. Auf der einen Seite möchte Donald Trumps „America first“ mit dem Rest der Welt nicht mehr viel zu tun haben. Auf der anderen Seite überschwemmen Billigproduzenten aus Fernost den Weltmarkt und bieten von der Socke bis zum Schnellzug so ziemlich alles an. Und mittendrin sucht Europas Wirtschaft ihre Zukunft. Hat sie überhaupt eine? Und was bedeutet all das zum Beispiel für Oberlausitz, Osterzgebirge, Sächsische Schweiz?
Seit 1994 gibt es den Ausschuss der Regionen, diesmal kommt er zum mittlerweile 128. Mal zusammen. Wenn alle gewählten Vertreter da sind, sitzen 350 Frauen und Männer im Saal. 24 von ihnen kommen aus deutschen Regionen, zwei davon aus Sachsen: der Görlitzer Landrat Bernd Lange und der Landtagsabgeordnete Heinz Lehmann, beide Mitglieder der CDU, die sich wiederum in die konservative Europäische Volkspartei einordnet. In Brüssel wird in diesen Dimensionen gesprochen.
Jedes Wort gibt’s in 24 Sprachen
Themen wie Migration, Europäischer Sozialfonds, Breitband-Ausbau bis in jedes Dorf und Wirtschaftszukunft locken Journalisten von B wie Bulgarien bis Z wie Zypern. An jedem Platz gibt es Kopfhörer. Jede Rede wird simultan in alle 24 Sprachen der EU-Mitgliedsländer übersetzt. Die Dolmetscher sitzen in Kabinen rund um den Saal. Alle Beschlussvorlagen und Änderungsanträge gibt es ebenfalls in 24 Sprachen.
Wie auch das Papier, in dem es ums Geld geht: Der Ausschuss der Regionen erarbeitet einen Vorschlag, wie es nach 2020 mit dem Europäischen Sozialfonds (ESF) weitergehen soll. „Die Regionen brauchen auch dann einen auskömmlichen Finanzrahmen“, mahnt der Pole Jan Olbrycht. Die Zahlen sprechen für sich: Allein 2017 half der Europäische Sozialfonds 4,2 Millionen Arbeitslosen zwischen Polarkreis und Mittelmeer, wieder Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden. 634 000 Menschen mit Behinderungen wurden vom ESF dabei unterstützt, einen Job zu finden.
Als es um die Zukunft der Wirtschaft geht, bekommt Heinz Lehmann ganze fünf Minuten Redezeit. Der Sachse spricht von der Industrie als Quelle des Wohlstands – vor dem Dienstleistungsgewerbe und anderen. 20 Prozent des gesamten Bruttoinlandprodukts sollen von der Industrie erwirtschaftet werden. „Das ist ein Durchschnittswert, der nicht sofort in allen Regionen erreichbar sein wird“, erklärt der 67-jährige Oberlausitzer. Aber er hält es für machbar. Bei erneuerbaren Energien, Kreislaufwirtschaft und Rohstoffgewinnung müsse die EU führend bleiben – oder die Führung auf dem Weltmarkt zurückgewinnen. Unternehmen bräuchten ein industriefreundliches Umfeld, die Akzeptanz der Bevölkerung, Zugang zu Forschungsergebnissen von Universitäten und ausreichend Kapital. Für Sachsen fast alles Selbstverständlichkeiten. „Ja“, erläutert Lehmann später in der Cafeteria. „Natürlich wird in Sachsen Industrie akzeptiert. Aber was jetzt beschlossen wurde, ist für ganz Europa bindend.“ Also auch für die finnische Tundra, das Donaudelta und die Kanarischen Inseln, zum Beispiel.
Im April 2017 haben Lehmann und andere Vertreter aus Regionen begonnen, an dem Wirtschaftspapier zu arbeiten. Verständigt haben sie sich auf Englisch. Immer wieder wurde gefeilt und um Kompromisse gerungen. Mancher wollte mehr Landwirtschaft festgeschrieben wissen, andere mehr Bergbau, die nächsten vor allem Tourismus. Am Ende einigten sich alle auf zehn eng beschriebene A-4-Seiten. Auch Industriebetriebe in der Oberlausitz, im Elbland und im Erzgebirge können also weiterhin mit Geld aus Brüssel rechnen.
Einstimmiger Beschluss
Etwas stolz ist Heinz Lehmann schon, dass es zu dem Wirtschaftspapier von niemandem Änderungsanträge gab. Auch die Abstimmung fällt einstimmig aus. Hätte Lehmann vor dem Deutschen Bundestag zum gleichen Thema gesprochen, bekäme er Feuer von der Opposition – aus Prinzip. In Brüssel steht eine Vertreterin des linken Lagers auf und lobt die fleißige Arbeit am Wirtschaftskonzept. So geht’s also auch.
Wie ein Sachse ganz Europa hinter sich schart
Original erschienen in Sächsischer Zeitung, Dienstag, 10.04.2018
Original Artikel
Original Artikel
Wie ein Sachse ganz Europa hinter sich schart
Im Ausschuss der Regionen geht es in Brüssel um die Zukunft der Wirtschaft zwischen Polarkreis und Mittelmeer – im Osterzgebirge und der Sächsischen Schweiz.
Von Tilo Berger, Brüssel
Brüssel. Es geht um die Zukunft der Wirtschaft in der Europäischen Union, und ein Sachse ist mittendrin statt nur dabei. Heinz Lehmann aus Neusalza-Spremberg wird vor dem Ausschuss der europäischen Regionen vortragen, in welche Richtungen sich die Wirtschaft entwickeln kann und soll. Das Ganze findet statt im Plenarsaal des Europäischen Parlaments. Sowohl das EU-Parlament als auch die EU-Kommission warten auf die Vorstellungen zur Zukunft der Wirtschaft aus den Regionen. Davon hängt unter anderem ab, wie die EU in den nächsten Jahrzehnten Fördergeld verteilt.
Brüssel? Geht es dort nicht um die Mindestlänge von Bananen und die Krümmung von Gurken? Ging es in der Vergangenheit auch, und kaum jemand widerspricht, wenn in dem Zusammenhang das Wort Kokolores fällt. Aber diesmal soll es um richtige Wirtschaft gehen. Europa ist in der Zwickmühle. Auf der einen Seite möchte Donald Trumps „America first“ mit dem Rest der Welt nicht mehr viel zu tun haben. Auf der anderen Seite überschwemmen Billigproduzenten aus Fernost den Weltmarkt und bieten von der Socke bis zum Schnellzug so ziemlich alles an. Und mittendrin sucht Europas Wirtschaft ihre Zukunft. Hat sie überhaupt eine? Und was bedeutet all das zum Beispiel für Oberlausitz, Osterzgebirge, Sächsische Schweiz?
Seit 1994 gibt es den Ausschuss der Regionen, diesmal kommt er zum mittlerweile 128. Mal zusammen. Wenn alle gewählten Vertreter da sind, sitzen 350 Frauen und Männer im Saal. 24 von ihnen kommen aus deutschen Regionen, zwei davon aus Sachsen: der Görlitzer Landrat Bernd Lange und der Landtagsabgeordnete Heinz Lehmann, beide Mitglieder der CDU, die sich wiederum in die konservative Europäische Volkspartei einordnet. In Brüssel wird in diesen Dimensionen gesprochen.
Jedes Wort gibt’s in 24 Sprachen
Themen wie Migration, Europäischer Sozialfonds, Breitband-Ausbau bis in jedes Dorf und Wirtschaftszukunft locken Journalisten von B wie Bulgarien bis Z wie Zypern. An jedem Platz gibt es Kopfhörer. Jede Rede wird simultan in alle 24 Sprachen der EU-Mitgliedsländer übersetzt. Die Dolmetscher sitzen in Kabinen rund um den Saal. Alle Beschlussvorlagen und Änderungsanträge gibt es ebenfalls in 24 Sprachen.
Wie auch das Papier, in dem es ums Geld geht: Der Ausschuss der Regionen erarbeitet einen Vorschlag, wie es nach 2020 mit dem Europäischen Sozialfonds (ESF) weitergehen soll. „Die Regionen brauchen auch dann einen auskömmlichen Finanzrahmen“, mahnt der Pole Jan Olbrycht. Die Zahlen sprechen für sich: Allein 2017 half der Europäische Sozialfonds 4,2 Millionen Arbeitslosen zwischen Polarkreis und Mittelmeer, wieder Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden. 634 000 Menschen mit Behinderungen wurden vom ESF dabei unterstützt, einen Job zu finden.
Als es um die Zukunft der Wirtschaft geht, bekommt Heinz Lehmann ganze fünf Minuten Redezeit. Der Sachse spricht von der Industrie als Quelle des Wohlstands – vor dem Dienstleistungsgewerbe und anderen. 20 Prozent des gesamten Bruttoinlandprodukts sollen von der Industrie erwirtschaftet werden. „Das ist ein Durchschnittswert, der nicht sofort in allen Regionen erreichbar sein wird“, erklärt der 67-jährige Oberlausitzer. Aber er hält es für machbar. Bei erneuerbaren Energien, Kreislaufwirtschaft und Rohstoffgewinnung müsse die EU führend bleiben – oder die Führung auf dem Weltmarkt zurückgewinnen. Unternehmen bräuchten ein industriefreundliches Umfeld, die Akzeptanz der Bevölkerung, Zugang zu Forschungsergebnissen von Universitäten und ausreichend Kapital. Für Sachsen fast alles Selbstverständlichkeiten. „Ja“, erläutert Lehmann später in der Cafeteria. „Natürlich wird in Sachsen Industrie akzeptiert. Aber was jetzt beschlossen wurde, ist für ganz Europa bindend.“ Also auch für die finnische Tundra, das Donaudelta und die Kanarischen Inseln, zum Beispiel.
Im April 2017 haben Lehmann und andere Vertreter aus Regionen begonnen, an dem Wirtschaftspapier zu arbeiten. Verständigt haben sie sich auf Englisch. Immer wieder wurde gefeilt und um Kompromisse gerungen. Mancher wollte mehr Landwirtschaft festgeschrieben wissen, andere mehr Bergbau, die nächsten vor allem Tourismus. Am Ende einigten sich alle auf zehn eng beschriebene A-4-Seiten. Auch Industriebetriebe in der Oberlausitz, im Elbland und im Erzgebirge können also weiterhin mit Geld aus Brüssel rechnen.
Einstimmiger Beschluss
Etwas stolz ist Heinz Lehmann schon, dass es zu dem Wirtschaftspapier von niemandem Änderungsanträge gab. Auch die Abstimmung fällt einstimmig aus. Hätte Lehmann vor dem Deutschen Bundestag zum gleichen Thema gesprochen, bekäme er Feuer von der Opposition – aus Prinzip. In Brüssel steht eine Vertreterin des linken Lagers auf und lobt die fleißige Arbeit am Wirtschaftskonzept. So geht’s also auch.
Donnerstag, 5. April 2018
Eigenes Know How schneller entwickeln, Artikel: Lausitzer Rundschau vom 03.04.2018, Seite 4
Artikel: Lausitzer Rundschau vom 03.04.2018, Seite 4
INTERVIEW MIT HEINZ LEHMANN
"Eigenes Know How schneller entwickeln."
Sächsischer CDU-Landtagsabgeordneter fordert mehr Beihilferegelungen für Industrien von besonderer strategischer Bedeutung.
NEUSALZA-SPREMBERG Lange dachte Europa, die schmutzigen Fabriken können ruhig nach Asien abwandern. Ein Fehler, meint der Europapolitiker Heinz Lehmann, denn immer mehr sächsische Mittelständler beliefern den globalen Markt. Für diese Firmen fordert der sächsische CDU-Landtagsabgeordnete Heinz Lehmann eine gemeinsame europäische Industrie-Strategie.
Herr Lehmann, Europa hat viele Regionen mit verschiedenen Voraussetzungen, wie kann man da eine gemeinsame Linie zur Industriefinden?
Lehmann Es kommt auf ein gutes Verhältnis von Hardware und Software an, und das eben überall in Europa. Die Hardware, das sind Straßen, Eisenbahnen und Breitbandanbindung. Die Software, also Bildungsangebote und ein stimmiges soziales Umfeld, sind aber genauso wichtig, damit sich eine Region gut entwickelt kann. Wir haben in Görlitz eine Hochschule für angewandte Wissenschaften und in Bautzen eine Berufsakademie, die sind für die Lausitz immens wichtig. Was wir aber auch brauchen, ist ein positives Narrativ für die Unternehmen.
Sie meinen mehr Akzeptanz für Industrie, die Sie kürzlich in Brüssel angemahnt haben.
Lehmann Ja, die Leute, die um ein Unternehmen herum leben, müssen überzeugt sein, dass die mittelständische Wirtschaft etwas Gutes ist für die Region und nicht etwas, das man nicht unbedingt braucht. Mit Industrie verbinden viele Menschen noch die rauchenden Schornsteine und die dreckige Luft und 19. Jahrhundert. Dabei ist das schon lange nicht mehr so. Wenn in einem Dorf wie Schönbach mit 1000 Einwohnern ein Unternehmen Ingenieure sucht, weil sie für den europäischen Markt produzieren, dann geht es da um ordentliche Jobs. Wenn so ein Ingenieur dann seine Frau mitbringt, die vielleicht Ärztin oder Lehrerin ist, dann können wir auf die Weise viele Probleme lösen, die wir in ländlichen Regionen haben.
Sind große Industrieansiedlungen noch verlässliche Größen im Osten? Bombardier und Siemens haben Kürzungen angekündigt, da stehen hunderte gute Jobs auf dem Spiel.
Lehmann Ich bin ganz zuversichtlich, dass die großen Unternehmen in der Lausitz bleiben. Gegenwärtig geht es darum, das qualifizierte Arbeitsvermögen auszunutzen. Das ist schon jetzt das knappste Gut. Wenn es heißt, dass Siemens in Görlitz schließen will, dann gehen die besten Mitarbeiter als erste weg. Aber die gehen nicht mehr zwingend in den Westen. Es gibt Firmen drumherum inzwischen, die die guten Leute gerne hätten. Das sind Firmen mit 40 bis 250 Leuten, die fest in Lieferketten eingebunden sind. Wir haben sogar Firmen in der Lausitz, die an den großen Tunnelbauprojekten in den Alpen beteiligt sind, die intelligente Eisenbahnsteuerungs-Systeme liefern.
Sie meinen die Hidden Champions.
Lehmann Ja, ich rede von Firmen, die machen Fernsteuerungssysteme in den Autos, oder die beliefern Rüstungsunternehmen. Damit machen die zwar nicht gerade Werbung, aber die suchen alle Leute. Wir müssen als Politik dafür sorgen, dass diese Unternehmen Leute finden. Auch auf europäischer Ebene. Und wir müssen dafür sorgen, dass die öffentliche Meinung das gutheißt. Dass wir diesen alten Industriebegriff durch einen neuen ersetzen, der weniger düster ist.
Nur zahlen diese mittelständischen Firmen im Osten weniger als Siemens oder Porsche.
Lehmann Die Lohnentwicklung in diesen Firmen ist ja vorangegangen. Leider wird darüber zu wenig geredet. Wir haben in der jüngeren sächsischen Historie junge Unternehmen, die Träger der Wirtschaftskraft sind. Diese Unternehmen müssen weiter wachsen können. Die sind Teil einer Wertschöpfungskette, die regional ist, national und global. Mit rauchenden Schornsteinen haben die nichts mehr zu tun. Die brauchen qualifizierte Leute, die arbeitsteilig Qualität abliefern zu Preisen, mit denen die Firma wettbewerbsfähig bleibt.
Was ist die sächsische Spezialität in einer europäischen Industriestrategie?
Lehmann Wir haben festgestellt, dass es zu viele Regelungen gibt, die Wachstum verhindern. Wir müssen dafür sorgen, dass die überbordende Bürokratie weggeschnitten wird. Dass die Firmen dort wachsen können, wo sie wachsen wollen, und nicht weggehen müssen. Wir haben in Dresden die Chipproduktion von Global Foundries, die sind in direktem Wettbewerb mit Singapur und den USA. Bei denen kostet der nächste Innovationsschritt locker mal Hunderte Millionen. Die Konkurrenz in Singapur kriegt dabei die Hälfte geschenkt vom Staat - bei uns gibt es nur zehn Prozent Beihilfe. Wir brauchen deshalb Beihilferegelungen für Industrien von besonderer strategischer Bedeutung.
Als die USA den Markt für ihre Stahl-Produzenten abschotten wollten, hieß es aus Europa, das sei reine Symbolpolitik im Dienstleistungszeitalter. Ist nicht zu viel Nostalgie im Spiel, wenn wir vom Wirtschaftsfaktor Industrie reden?
Lehmann Nein, ich halte es für wichtig, dass wir wieder zu einem Industrieanteil von 20 Prozent an der Gesamtwirtschaft kommen müssen, europaweit. Dort war Europa vor 25 Jahren schon mal. Die Industrieproduktion ist seitdem nicht weniger geworden, aber die anderen Bereiche sind schneller gewachsen, die Facebooks und Googles. Unsere europäische Stärke ist aber Industrie, die Herstellung von Dingen, die man anfassen kann. Wir in Europa sind besser bei den erneuerbaren Energien und bei Niedrig-Emissions-Technologien als der Rest der Welt. Daraus müssen wir etwas machen. Wir müssen gucken, dass wir unsere Art der Wertschöpfung so weit entwickeln, dass sie unseren Wohlstand erhalten kann.
Wie können wir verhindern, dass die Asiaten Innovationen klauen, um ihre eigene Industrie damit aufzubauen?
Lehmann Das werden wir nicht verhindern können. Umso mehr müssen wir besser sein und immer wieder Innovationen bringen. Inzwischen gibt es auch in Asien sehr gute Forschung in der Nähe der Produktion, wohingegen wir Europäer die Produktion ausgelagert haben. Umso wichtiger ist es für uns, dass wir auch hier Produktion halten. Denn umkehren können wir diese Entwicklung nicht. Ich sehe keinen Weg, Hemden oder Unterhosenproduktion zurückzuholen. Wir haben aber inzwischen in Sachsen Textilhersteller, die nicht mehr Baumwolle verweben, sondern Kohlefasern. Die machen Spezialfasern für Raumanzüge. Wir müssen, um den Abfluss der Technologie nach China zu kompensieren, unser eigenes Know How schneller entwickeln. Das ist der Wettlauf, der immer bleiben wird. Inzwischen stellen die Chinesen fest, dass auch bei ihnen nicht die Bäume in den Himmel wachsen.
MIT HEINZ LEHMANN SPRACH CHRISTINE KEILHOLZ
INTERVIEW MIT HEINZ LEHMANN
"Eigenes Know How schneller entwickeln."
Sächsischer CDU-Landtagsabgeordneter fordert mehr Beihilferegelungen für Industrien von besonderer strategischer Bedeutung.
NEUSALZA-SPREMBERG Lange dachte Europa, die schmutzigen Fabriken können ruhig nach Asien abwandern. Ein Fehler, meint der Europapolitiker Heinz Lehmann, denn immer mehr sächsische Mittelständler beliefern den globalen Markt. Für diese Firmen fordert der sächsische CDU-Landtagsabgeordnete Heinz Lehmann eine gemeinsame europäische Industrie-Strategie.
Herr Lehmann, Europa hat viele Regionen mit verschiedenen Voraussetzungen, wie kann man da eine gemeinsame Linie zur Industriefinden?
Lehmann Es kommt auf ein gutes Verhältnis von Hardware und Software an, und das eben überall in Europa. Die Hardware, das sind Straßen, Eisenbahnen und Breitbandanbindung. Die Software, also Bildungsangebote und ein stimmiges soziales Umfeld, sind aber genauso wichtig, damit sich eine Region gut entwickelt kann. Wir haben in Görlitz eine Hochschule für angewandte Wissenschaften und in Bautzen eine Berufsakademie, die sind für die Lausitz immens wichtig. Was wir aber auch brauchen, ist ein positives Narrativ für die Unternehmen.
Sie meinen mehr Akzeptanz für Industrie, die Sie kürzlich in Brüssel angemahnt haben.
Lehmann Ja, die Leute, die um ein Unternehmen herum leben, müssen überzeugt sein, dass die mittelständische Wirtschaft etwas Gutes ist für die Region und nicht etwas, das man nicht unbedingt braucht. Mit Industrie verbinden viele Menschen noch die rauchenden Schornsteine und die dreckige Luft und 19. Jahrhundert. Dabei ist das schon lange nicht mehr so. Wenn in einem Dorf wie Schönbach mit 1000 Einwohnern ein Unternehmen Ingenieure sucht, weil sie für den europäischen Markt produzieren, dann geht es da um ordentliche Jobs. Wenn so ein Ingenieur dann seine Frau mitbringt, die vielleicht Ärztin oder Lehrerin ist, dann können wir auf die Weise viele Probleme lösen, die wir in ländlichen Regionen haben.
Sind große Industrieansiedlungen noch verlässliche Größen im Osten? Bombardier und Siemens haben Kürzungen angekündigt, da stehen hunderte gute Jobs auf dem Spiel.
Lehmann Ich bin ganz zuversichtlich, dass die großen Unternehmen in der Lausitz bleiben. Gegenwärtig geht es darum, das qualifizierte Arbeitsvermögen auszunutzen. Das ist schon jetzt das knappste Gut. Wenn es heißt, dass Siemens in Görlitz schließen will, dann gehen die besten Mitarbeiter als erste weg. Aber die gehen nicht mehr zwingend in den Westen. Es gibt Firmen drumherum inzwischen, die die guten Leute gerne hätten. Das sind Firmen mit 40 bis 250 Leuten, die fest in Lieferketten eingebunden sind. Wir haben sogar Firmen in der Lausitz, die an den großen Tunnelbauprojekten in den Alpen beteiligt sind, die intelligente Eisenbahnsteuerungs-Systeme liefern.
Sie meinen die Hidden Champions.
Lehmann Ja, ich rede von Firmen, die machen Fernsteuerungssysteme in den Autos, oder die beliefern Rüstungsunternehmen. Damit machen die zwar nicht gerade Werbung, aber die suchen alle Leute. Wir müssen als Politik dafür sorgen, dass diese Unternehmen Leute finden. Auch auf europäischer Ebene. Und wir müssen dafür sorgen, dass die öffentliche Meinung das gutheißt. Dass wir diesen alten Industriebegriff durch einen neuen ersetzen, der weniger düster ist.
Nur zahlen diese mittelständischen Firmen im Osten weniger als Siemens oder Porsche.
Lehmann Die Lohnentwicklung in diesen Firmen ist ja vorangegangen. Leider wird darüber zu wenig geredet. Wir haben in der jüngeren sächsischen Historie junge Unternehmen, die Träger der Wirtschaftskraft sind. Diese Unternehmen müssen weiter wachsen können. Die sind Teil einer Wertschöpfungskette, die regional ist, national und global. Mit rauchenden Schornsteinen haben die nichts mehr zu tun. Die brauchen qualifizierte Leute, die arbeitsteilig Qualität abliefern zu Preisen, mit denen die Firma wettbewerbsfähig bleibt.
Was ist die sächsische Spezialität in einer europäischen Industriestrategie?
Lehmann Wir haben festgestellt, dass es zu viele Regelungen gibt, die Wachstum verhindern. Wir müssen dafür sorgen, dass die überbordende Bürokratie weggeschnitten wird. Dass die Firmen dort wachsen können, wo sie wachsen wollen, und nicht weggehen müssen. Wir haben in Dresden die Chipproduktion von Global Foundries, die sind in direktem Wettbewerb mit Singapur und den USA. Bei denen kostet der nächste Innovationsschritt locker mal Hunderte Millionen. Die Konkurrenz in Singapur kriegt dabei die Hälfte geschenkt vom Staat - bei uns gibt es nur zehn Prozent Beihilfe. Wir brauchen deshalb Beihilferegelungen für Industrien von besonderer strategischer Bedeutung.
Als die USA den Markt für ihre Stahl-Produzenten abschotten wollten, hieß es aus Europa, das sei reine Symbolpolitik im Dienstleistungszeitalter. Ist nicht zu viel Nostalgie im Spiel, wenn wir vom Wirtschaftsfaktor Industrie reden?
Lehmann Nein, ich halte es für wichtig, dass wir wieder zu einem Industrieanteil von 20 Prozent an der Gesamtwirtschaft kommen müssen, europaweit. Dort war Europa vor 25 Jahren schon mal. Die Industrieproduktion ist seitdem nicht weniger geworden, aber die anderen Bereiche sind schneller gewachsen, die Facebooks und Googles. Unsere europäische Stärke ist aber Industrie, die Herstellung von Dingen, die man anfassen kann. Wir in Europa sind besser bei den erneuerbaren Energien und bei Niedrig-Emissions-Technologien als der Rest der Welt. Daraus müssen wir etwas machen. Wir müssen gucken, dass wir unsere Art der Wertschöpfung so weit entwickeln, dass sie unseren Wohlstand erhalten kann.
Wie können wir verhindern, dass die Asiaten Innovationen klauen, um ihre eigene Industrie damit aufzubauen?
Lehmann Das werden wir nicht verhindern können. Umso mehr müssen wir besser sein und immer wieder Innovationen bringen. Inzwischen gibt es auch in Asien sehr gute Forschung in der Nähe der Produktion, wohingegen wir Europäer die Produktion ausgelagert haben. Umso wichtiger ist es für uns, dass wir auch hier Produktion halten. Denn umkehren können wir diese Entwicklung nicht. Ich sehe keinen Weg, Hemden oder Unterhosenproduktion zurückzuholen. Wir haben aber inzwischen in Sachsen Textilhersteller, die nicht mehr Baumwolle verweben, sondern Kohlefasern. Die machen Spezialfasern für Raumanzüge. Wir müssen, um den Abfluss der Technologie nach China zu kompensieren, unser eigenes Know How schneller entwickeln. Das ist der Wettlauf, der immer bleiben wird. Inzwischen stellen die Chinesen fest, dass auch bei ihnen nicht die Bäume in den Himmel wachsen.
MIT HEINZ LEHMANN SPRACH CHRISTINE KEILHOLZ
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