Rede von Heinz Lehmann beim Seminar der Fachkommission für Kohäsionspolitik und EU-Haushalt (COTER) unter dem Thema "Aktuelle Herausforderungen für grenzüberschreitende Regionen in Europa“ am 17. September 2015, in Liberec (Tschechische Republik)
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wenn Sie heute in den Zug steigen um von Liberec in die sächsische Hauptstadt nach Dresden zu reisen, werden Sie auf halber Strecke, inmitten scheinbar unberührter Natur, ein historisches Wegkreuz mit einem neugestalteten Marienbild erkennen können. Das auf tschechischem Gebiet stehende Kreuz erinnert an das Dorf Fugau, welches in seiner mehr als 400-jährigen Geschichte, bis zu deren Vertreibung im Ergebnis des 2. Weltkrieges, von deutschen Bürgern bewohnt war. Viele der damals Deportierten hofften noch jahrelang auf ihre Rückkehr in die alte Heimat, wie wir heute alle wissen vergeblich. Die letzte Hoffnung erlosch im Jahr 1960, als die immer noch vorhandenen Häuser durch Panzer der tschechischen Armee niedergerissen, sowie Kirche und Schule gesprengt wurden. Uns Kindern war es streng verboten, sich der tschechischen Grenze zu nähern. Wenn wir es trotzdem taten und wir taten es natürlich, standen vor mehren Reihen Stacheldraht. Ein schauriger Ort. Erfahrungen wie diese, haben über Jahrzehnte das Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen in dieser Region mit geprägt. Man lebte weitgehend nebeneinander her.
Diese Situation hat sich seit der Aufnahme der Tschechischen Republik in die EU im Jahre 2004 grundlegend verändert. Erstmals wurde der Versuch unternommen die alte Politik der Abgrenzung und des übersteigerten Nationalismus, die auf beiden Seiten der Grenze zu Leid und Verbitterung geführt hatte, durch eine ehrliche Partnerschaft auf Augenhöhe im gemeinsamen Europäischen Haus zu ersetzen.
Das Wegkreuz von Fugau steht somit symbolisch für das neue Verhältnis zwischen den nahen Nachbarn. Das Marienbild schuf ein tschechischer Künstler aus Kralovstvi in Böhmen, die Steineinfassung wurde durch einen Steinmetz aus dem benachbarten Taubenheim in Sachsen hergerichtet. Zur feierlichen Einweihung waren im Juli dieses Jahres neben den Bürgermeistern von Sluknov und Sohland, auch zahlreiche Bürger gekommen. Dieses Gemeinschaftsprojekt ist das bisher jüngste einer Reihe bürgerschaftlicher Aktivitäten, welche ihren Anfang in der Gründung der sogenannten Fünfgemeinde im Jahre 2002 genommen hatten, in der sich die tschechischen Gemeinden Sluknov und Jirikov mit den sächsischen Gemeinden Neusalza- Spremberg, Oppach und Sohland zusammen gefunden hatten. Neben kulturellen und heimatpflegerischen Projekten hat sich das jährlich durch die Fünfgemeinde auf dem Jitrovnik, dem Jüttelberg, organisierte Picknick, zu einer regionalen Attraktion entwickelt.
Von all den Barrieren die wir bisher überwunden haben, erweist sich die Sprachbarriere als die zäheste. Wir arbeiten aber hart an deren Überwindung. Insbesondere das Konzept der Nachbarsprachen, welches auf sächsischer Seite ursprünglich durch die freien Schkola Schulen initiiert wurde, und auch bereits in einigen Kindergärten praktiziert wird erfreut sich großer Beliebtheit. Zwischen den Nachbarstädten Ebersbach- Neugersdorf und Jijikov werden nach einer kommunalen Vereinbarung jeweils 6 Kindergartenplätze für Kinder des jeweiligen Nachbarlandes reserviert.
Anlass zur Zuversicht gibt auch die wirtschaftliche Kooperation. Die auf den Straßen der ganzen Welt überaus populäre Automarke Skoda steht dafür beispielhaft. Die Montagebänder im nahen Mlada Boleslav werden durch Komponentenhersteller aus Dolny Slask, Sachsen, Böhmen und der Slowakei beliefert. Damit werden hochwertige Arbeitsplätze gesichert.
Auch der Fußball erfreut sich beiderseits der Grenze großer Beliebtheit. Seitdem der Sportdirektor von Slovan Liberec, Jiri Necmar, in seiner Freizeit als Goalgetter für den FC Oberlausitz im sächsischen Neugersdorf kickt, ging die Erfolgskurve steil nach oben. Über den 4:0 Auswärtssieg gegen den Berliner AK vom vergangenen Wochenende (2 Tore Necmar) haben sich deutsche und tschechische Fußballfans gleichermaßen gefreut.
Selbstverständlich gibt es auch Gebiete auf denen wir deutlich besser werden müssen. Fälle von Fahrzeugdiebstahl und Drogenhandel belasten die Bürger auf beiden Seiten der Grenze. Zur Bekämpfung der oft organisiert vorgehenden Kriminellen ist die weitere Optimierung der polizeilichen und juristischen Zusammenarbeit unerlässlich. Ein weiteres Ärgernis sind die noch immer nicht geschlossenen Lücken an den Straßenneubaustrecken Dresden-Prag und Bautzen-Liberec. Im Schienenverkehr richten sich aktuellen Bemühungen auf die Wiederaufnahme der Zugdirektverbindung Dresden-Wroclaw und die Einrichtung einer Verbindung Liberec-Wroclaw.
Als mich Kollege Pavel Branda fragte, ob ich der von ihm im AdR initiierten Gruppe für territoriale Zusammenarbeit beitreten möchte habe ich sofort zugesagt. Mit der neuen Intergruppe können die bereits etablierten Aktivitäten der Euroregion Neisse und der zahlreichen kommunalen Gemeinschaftsprojekte flankiert und noch mehr Bürger zur Beteiligung an grenzüberschreitenden Aktivitäten angeregt werden. Zusätzlich zu den europäischen Förderprogrammen hat die Sächsische Staatsregierung in der vergangenen Woche die Richtlinie der Sächsischen Staatskanzlei zur Förderung der interregionalen und grenzübergreifenden Zusammenarbeit sowie des Europagedankens in Kraft gesetzt. Sie unterstützt insbesondere das zusätzliche Engagement von Vereinen und Schulen bei der Zusammenarbeit mit ihren tschechischen und polnischen Partnern.
Meine Damen und Herren, das Gemeinschaftsprojekt Europäische Union sieht sich nicht zuletzt durch die Flüchtlingskrise, mit der größten Herausforderung seit seiner Gründung konfrontiert. Die EU wird diese Prüfung umso besser bestehen können, je stärker sich die Bürger entlang der Binnengrenzen als Europäer verstehen und damit die Kohäsion stärken. Dazu leistet der AdR einen unverzichtbaren Beitrag. Ich wünsche mir, dass das Wegkreuz an der Bahnstrecke von Liberec nach Dresden uns stets an das bereits gemeinsam erreichte erinnert und uns mahnt nicht nachzulassen weiter für unser gemeinsames Projekt Europa einzutreten.
Donnerstag, 17. September 2015
Herausforderungen der europäischen Grenzregionen und die Bewertung der derzeitigen EU-Instrumente zur Unterstützung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit
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