Liebe Kollegen, meine Damen und Herren, gegenwärtig bin ich viel unterwegs, um für meine Stellungnahme zur EU- Industriepolitik der Zukunft so viel Ideen und Erfahrungen wie möglich aufzusammeln.
Wie Sie sich denken können habe ich damit in meiner Heimatregion Sachsen begonnen, danach habe ich die Überlegungen von Ihnen, meinen Kollegen aus der ECON Kommission aufgenommen und schließlich die Vorschläge mit den nationalen und europäischen Partnern diskutiert.
Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen.
Dabei habe ich insbesondere gelernt, dass es für die Vielzahl der europäischen Regionen nicht den einen industriellen Anzug gibt, der allen passt.
Die Empfehlungen der Kommission werden in den unterschiedlichen Regionen unterschiedlich ausgelegt und angewendet.
Ich möchte mich heute auf den Aspekt der klugen Spezialisierung beschränken.
Die Empfehlung der Kommission rät den Regionen, sich bei der Wirtschaftsförderung auf die Branchen mit dem größten regionalen Wachstumspotenzial zu konzentrieren.
Ich unterschreibe alles, was gestern in Bezug auf Lappland als dünn besiedelte Region gesagt wurde
Wie geht nun v meine Heimatregion Sachsen damit um?
Nach der deutschen Wiedervereinigung war die einheimische Industrie beinahe flächendeckend zusammen gebrochen.
Das in Sachsen montierte Auto Trabant wollte keiner mehr kaufen, die Firma war binnen Kurzem insolvent. Die qualifizierten Arbeitskräfte waren arbeitslos.
Heute ist Sachsen wieder Auto-Land mit fast allen deutschen Marken und über 80.000 Beschäftigten, in 780 Zulieferfirmen und 30 Forschungsinstituten, die sich mit der Mobilität von Morgen befassen.
In Dresden läuft seit einigen Wochen der E- Golf vom Band.
Sollten wir uns also intelligent auf die Autoproduktion konzentrieren?
Sachsen hat eine lange Tradition im Maschinenbau, wo inzwischen wieder 40.000 Menschen beschäftigt sind.
Sollten wir uns intelligent auf den Maschinenbau konzentrieren?
Ähnliches kann ich von der Mikroelektronikbranche berichten, unser Silicon Saxony.
Sollten wir uns intelligent auf die Mikroelektronik konzentrieren?
Oder vielleicht auf die Kunststoffverarbeitung?
Sicherlich nicht auf die Textilindustrie - oder vielleicht doch?
Nach ihrem Niedergang in den 90er Jahren sind dort inzwischen wieder fast 9.000 Menschen tätig.
Sie verarbeiten vorzugsweise keine Baumwolle mehr sondern verspinnen und verweben hochfeste polymere, mineralische und Kohlenstoffasern für den Leichtbau. Mit einem riesigen Potenzial für die Autoproduktion, für die Luftfahrt und sogar im Baugewerbe.
Sollten wir uns vielleicht intelligent auf die Textilindustrie konzentrieren?
Vor wenigen Jahren hatten wir intensiv auf die Solarbranche gesetzt. 2.000 Jobs entstanden in der Panelproduktion und waren nach 5 guten Jahren wieder Richtung China verschwunden.
Übrig geblieben ist ein innovativer Kern von KMU der unter Benutzung chinesischer Panele erfolgreich Komplettlösungen zur Elektrifizierung zum Beispiel in Entwicklungsländern anbietet.
Sollten wir aus der Förderung der Solarbranche für immer aussteigen?
Vermutlich nicht.
Wir legen mit Blick auf die Zukunftsfestigkeit Sachsens ein besonderes Augenmerk darauf, den Strukturwandel zu gestalten, leistungsfähige Elemente der bestehenden Wertschöpfung zu erhalten und auszubauen und auf breiter Front neue Impulse für eine wissensbasierte Ökonomie zu setzen.
Ein innovationsgestütztes, überregional orientiertes Größenwachstum der bestehenden Unternehmen und die strategische Stärkung unserer innovativen Wertschöpfungsketten sind dabei wichtige Ziele.
Die Sächsische Industriepolitik unterstützt grundsätzlich alle in Sachsen ansässigen Branchen und ist offen für alle Technologien.
Dies geschieht nicht allein zwecks Vermeidung staatlich induzierter Fehlentwicklungen im Strukturwandel.
Die Offenheit ermöglicht die Förderung von Vorhaben in Bereichen, deren Entwicklung sich derzeit kaum abschätzen lässt, künftig aber durch radikale oder disruptive Innovationen bis hin zur Entstehung neuer Branchen führen kann.
Eine Einschränkung zugunsten politisch definierter Schwerpunktbranchen birgt die Gefahr, Zukunftschancen auszulassen, die abseits aktuell politisch beleuchteter Themen liegen.
In der Branchen- und Technologievielfalt sehen wir also eine besondere sächsische Stärke.
Für die Region ist es wichtig, nicht von einer Branche oder einer Technologie allein abhängig zu sein, sondern diversifizierte Stärken zu besitzen.
Zahlreiche Studien zeigen, dass eine Region umso anfälliger für exogene Schocks ist, je spezialisierter sie ist.
Besonders in Krisenzeiten hat sich die breite wirtschaftliche Basis Sachsens bewährt.
Die bisher breit angelegte Förderung hat das maximal mögliche erreicht. Eine Reduzierung des Kreises der potenziellen Zuwendungsempfänger infolge perspektivisch zurückgehender Finanz¬mittel bedarf sorgfältiger Überlegungen, die naturgemäß noch nicht abgeschlossen sein können.
Ziel der sächsischen Politik ist nicht die Zementierung der bestehenden Strukturen, sondern deren Offenheit und Fähigkeit, sich schnell und flexibel auf neue Herausforderungen einzustellen.
Die Zukunft wird immer komplexer und zunehmend branchen- und technologie übergreifend.
Einzelne, früher gegeneinander abgegrenzte Technologien, verschmelzen zu hochgradig integrierten Systeminnovationen. Sie entstehen jenseits der klassischen Branchengrenzen in sogenannten konvergierenden Bereichen.
Durch das »Crossing« von Branchen und Technologien kristallisieren sich an den Schnittstellen besondere Wachstumsfelder heraus.
Dabei kommt es auch auf die Erschließung der Zukunftsfelder – als Antwort auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen – an.
Entscheidend ist zudem die Diffusion der neuesten Entwicklungen aus den sogenannten Key Enabling Technologies (KET) in die traditionellen Branchen.
Durch den Technologietransfer in andere Branchen verbreitert sich die Basis für Technologieanwendungen und es werden Synergie- Effekte erzielt.
Wir sehen hierin für die sächsische Wirtschaft große Chancen und setzen an diesen Stellen Schwerpunkte unserer Industrie- und Clusterpolitik
Liebe Kollegen wir besitzen auch in Sachsen nicht die berühmte Glaskugel, die uns die Zukunft voraus sagt.
Wir wissen nicht ob die Autos der Zukunft mit Batteriestrom oder mit der wasserstoffgespeisten Brennstoffzelle fahren werden.
Wir wollen aber nach menschlichem Ermessen, so breit aufgestellt sein um auf unterschiedliche Entwicklungen adäquat reagieren zu können und setzen auf Bildung, Forschung und Innovation, sowie auf gute Zusammenarbeit mit unseren Nachbarregionen in Tschechien und Polen.
Ich habe Ihnen die sächsische Sicht zur Strategie der intelligenten Spezialisierung vorgestellt, Ihre Regionen werden das möglicherweise ganz anders machen.
Jede Region muss ihre eigene angepasste Strategie entwerfen.
Die Junker- Initiative zur Auswahl von Pilotregionen zur intelligenten Spezialisierung begrüßen wir ausdrücklich.
Die intelligente Spezialisierung ist nur eine Facette der zukünftigen EU Industriepolitik.
Möglicherweise habe ich mit unseren sächsischen Erfahrungen einen Denkanstoß geliefert.
Ich danke ich Ihnen für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit und freue mich auf Ihren Besuch in Sachsen im nächsten Mai.
Heinz Lehmann MdL, Rovaniemi, 10.11.2017
Mittwoch, 15. November 2017
So geht Sächsisch – Anmerkungen zur intelligenten Spezialisierung
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